Die Grund- und Mittelschule Thalmässing gestaltet einen Projekttag „Asyl“.
„Alte Heimat aufgeben – neue Heimat finden“ unter dieser Überschrift befassten sich die Schülerinnen und Schüler der Grund- und Mittelschule Thalmässing einen ganzen Vormittag über mit der Problematik „Asyl“. Nachdem inzwischen acht Kinder aus Asylbewerberfamilien an der Schule sind, hat das Thema unmittelbare Bedeutung.
Es ist Freitag, 8:15 Uhr. In der Aula der Grund- und Mittelschule in Thalmässing drängen sich rund 310 Schülerinnen und Schüler ganz eng zusammen. Der Platz ist knapp. Umso erstaunlicher ist die Ruhe, die herrscht. Hoch konzentriert verfolgen die Kinder und Jugendlichen einen kurzen Film. Mona und Nico aus der 9. Klasse haben ihn zusammengestellt. Er zeigt Bilder von zufriedenen Menschen, von schönen Landschaften und belebten Städten bei uns in Deutschland, in Syrien und Äthiopien. „Heimat!“ lautet dazu die Bildunterschrift. Dann kommt ein Bruch im Film. Es folgen Bilder von zerstörten Städten, verzweifelten Menschen und verängstigten Kindern. „Heimat?“ wird als Frage gestellt und mündet in ein Bild von einem Erstaufnahmelager in Deutschland. Ein Lied des syrischen Flüchtlingschores verdichtet die Stimmung nochmals. „Was ist Heimat für dich?“ Über diese Frage reflektiert Rektor Misoph im Anschluss an den Filmeinstieg. Er erläutert, dass derzeit etwa 50 Millionen Menschen, darunter 20 Millionen Kinder, ihre Heimat verlassen und sich eine neue Heimat suchen müssen. Einige von ihnen kommen auch zu uns. Deshalb, so Misoph, beschäftigt sich die Schule einen ganzen Vormittag mit diesem Thema. Nun kann es losgehen.
In kürzester Zeit sind alle 310 Schüler verschwunden. Jeder hat rasch eine der 17 Stationen gefunden, für die er im Vorfeld eingeteilt wurde. Alle Klassenzimmer sind belegt und dennoch herrscht auch jetzt völlige Ruhe im Schulhaus. Ein Besuch in einigen der Stationen macht deutlich, warum das so ist. Überall wird hoch konzentriert gearbeitet, sind Schüler der verschiedenen Jahrgangsstufen zusammen aktiv, arbeiten Grundschüler und Mittelschüler Hand in Hand zusammen.
Das Angebot ist vielfältig. In einem Raum wird untersucht, woher die Flüchtlinge kommen und in welchen Ländern sie Zuflucht suchen. Diese Erkenntnisse werden in eine große Karte eingetragen. In einem anderen Zimmer steht das Buch „Akim rennt“ im Mittelpunkt. Die beeindruckenden Kohlezeichnungen des Buches sind aufbereitet und dienen als Ausgangspunkt für eine Besinnung über Flucht und Vertreibung. Im gleichen Stockwerk wird das Lied „Bruder Jakob“ in den verschiedensten Sprachen eingeübt. In der Schuldruckerei werden die Bezeichnungen der wichtigen Räume der Schule in die Sprache der Asylbewerber übersetzt und ausgedruckt. Ein Stockwerk tiefer stehen die Länder, aus denen die Asylbewerber kommen, im Mittelpunkt. Deren Flaggen werden gezeichnet und in der jeweiligen Sprache wird ein Begrüßungssatz für den Eingang gestaltet. An einer Station läuft ein Film, dessen Titel schon alles sagt: „Auf dem Weg zur Schule“. Feste und Feiern in den Ländern, aus denen die Flüchtlinge kommen, stehen einige Räume weiter im Mittelpunkt, daneben beschäftigt man sich mit dem Anderssein und wie man damit umgehen kann. Besprochen wird dazu auch die Geschichte eines Schnabeltieres, das sich eine neue Heimat sucht, in der es angenommen wird, so, wie es ist. „Bin ich anders?“ lautet der Titel des Buches. Auf vielfältige Art und Weise wird das Thema eingebunden jeweils in Film- und Bildausschnitte, die zeigen, was ausgeschlossen, was anders, was auf der Flucht sein besonders für Kinder bedeutet. Diese besondere Belastung greift eine Station auf, in deren Zentrum Flüchtlingsgeschichten stehen. In einem Klassenzimmer wird darüber philosophiert, was den Kindern wichtig ist, worauf sie verzichten könnten und worauf eher nicht. Und was das für Kinder bedeutet, die flüchten müssen.
Über 30 Kinder aus verschiedensten Klassen sind in der Schulküche aktiv. Dort werden unter anderem typisch syrische Backwaren hergestellt. Dass eine syrische Mama da mit Rat und Tat zur Seite steht, macht es für alle Schüler nur noch interessanter. Auch ein äthiopischer Asylbewerber, er ist bereits erwachsen und besucht die Schule freiwillig, um eine Abschlussprüfung zu machen, bäckt eifrig mit. Seine Geschicklichkeit stößt auf große Bewunderung. Eine Schülergruppe hat sich vorgenommen, einen Film zum Thema Asyl und über diesen Aktionstag zu drehen. Dazu gehört unter anderem ein Interview mit Bürgermeister Georg Küttinger, der zur Situation der Asylbewerber in den Gemeinden befragt wird. In seiner bekannt offenen und leidenschaftlichen Art bezieht er klar Position, stellt falsche Informationen klar und macht deutlich, wie wichtig es für unsere Gesellschaft ist, dass die Asylbewerber rasch bei uns integriert werden. Für die Schüler bedeutet das natürlich zunächst, dass sie sich mit den Mitschülern aus fremden Ländern beschäftigen, sich auf sie einlassen und sie unterstützen müssen. Sie versuchen, ihnen eben Heimat zu geben. Diese Grundhaltung der Toleranz ist der Inhalt des bekannten Liedes vom „Land der Blaukarierten“. Es steht im Mittelpunkt einer weiteren Station.
Aus dem Raum gegenüber hört man Musik. Dort wird ein serbischer Tanz eingeübt. Die Kollegin wird unterstützt von Asylbewerberkindern, die aus dieser Gegend kommen und den Tanz „im Blut haben“. Ganz selbstverständlich üben Viertklässler und Neuntklässler gemeinsam, nehmen sich an die Hand und lassen sich von den „Profis“ anleiten und führen.
An der Schule in Thalmässing ist es schon Tradition, dass solche Projekttage einen gemeinsamen Abschluss haben. Um 11:00 Uhr treffen sich alle wieder in der Aula. Erneut ist es sehr eng. Und dennoch kann das Lied „Bruder Jakob“ in sieben verschiedenen Sprachen dank Lautschrift von allen gesungen und der serbische Tanz unter großem Beifall vorgeführt werden. Den Abschluss bildet das Lied „Im Land der “Blaukarierten“. Es wird von der Klasse 2b szenisch dargestellt und, da es zum festen Liedgut der Thalmässinger Grundschule gehört, von allen mitgesungen. Ein intensiver, beeindruckender Vormittag geht danach zu Ende. Faszinierend sind die Achtsamkeit der Schüler im Umgang miteinander, die Ernsthaftigkeit ihrer Arbeit und die durchgängige hohe Konzentration.
Die Schule setzte mit diesem Vormittag ein deutliches Zeichen für Toleranz und gegen Fremdenfeindlichkeit. Eine Weihnachtsbootschaft, das war der Titel einer Station, die das Schicksal der Bootsflüchtlinge und die Herbergssuche in Verbindung brachte, die in einer christlichen Gesellschaft gerade in diesen Tagen Gehör finden sollte. Ein Zeichen, das nicht nur einer Inklusionsschule gut zu Gesicht steht.